
Es wurde immerhin heute mehr über Lycos geredet als in den vergangenen Jahren. Lycos Europe wird in die Internetgeschichte eingehen als ein Witz der Dot-Com-Boom-Phase. Und um es gleich zu sagen, es ist heute sehr schlimm für die Mitarbeiter. Von denen habe ich gehört, dass man intensiv am und im Unternehmen arbeite und es wurde wieder und wieder das gute Klima im Unternehmen gelobt. Es gibt gute Gründe, den Untergang von Lycos als schade zu bezeichnen. Auf Christoph Mohn möchte ich nicht rumhauen, das werden andere zur Genüge tun.
Was aber zum Ende von Lycos Europe auch festgehalten werden kann, ist, und dafür ist Mohn sicher irgendwie verantwortlich, wenn auch nicht allein, dass die althergebrachte Bertelsmann-Strategie gefloppt ist: Der Gedanke, Kunden vorzusetzen, was die kaufen sollen (was in den 90ern im Internet noch klappte), anstelle den Kunden aufs Maul zu schauen, und deren Interessen mit adequaten (Internet-)Diensten zu unterstützen. Sowas mag im Buchclub funktionieren, im Internet eben nicht. Bertelsmann hat im Internet, soweit ich weiß, nie Erfolg gehabt. Lycos ist da wohl nur derzeit die Spitze des Eisbergs. Mag ich mit der Einschätzung auch voll daneben liegen, wir haben es hier mit einem derben Imageschaden für Bertelsmann und die Marke Lycos zu tun.
Dabei hatten sie durchaus Chancen. Der Lycos-Chat hat vor einigen Jahren genau die Nutzer angespült, die so heiß umkämpft gewesen sind: Junge, dynamische Leute, die miteinander in Kontakt treten wollten, auf durchaus anspruchsvolle Weise. Der Lycos-Chat unterschied sich von allen anderen durch Dinge, die Dienste wie Twitter auch verwenden, und die damals neu waren: Ein direktes Mitteilungssystem, eine eigene Darstellungsseite, Statistiken über Benutzer, die die eigene Seite anschauten. All das, was für viele StudiVZ-Nutzer Neuland bedeutete.
Und was machte Lycos? Man versuchte den Chat zu monetarisieren. Nutzer sollten Geld bezahlen für die Statistiken und andere Eigenschaften des Systems. Und was machten die Nutzer? Sie sagten in Scharen Lycos Lebewohl. Sie ließen sich nicht das andrehen, was scheinbar auch kostenlos zu kriegen sein kann. Lycos hat eine erfolgversprechende Idee leichtfertig zum Versuch des Monetarisierens aus der Hand gegeben. Ein Versuch, der schon zuvor oft genug gescheitert war. Das müsste das sein, was Mohn verstehen müsste, wenn er sagt Lycos habe es nicht geschafft, seine Dienste zu monetarisieren. Weil niemand darauf geschaut hat, wer die Großzahl potentieller Kunden ist und was die wohl interessiert, wenn klar ist, dass man denen nicht irgendwas zum Bezahlen aufs Auge drücken kann. Mohn hat im letzten Jahr ausgerufen, man wolle nun auf web2.0‑Strategien bauen. Davon ist nichts geblieben. Stattdessen trat zeitgleich Twitter seinen Siegeszug an — mit Strategien, die bei Lycos nach 12 Jahren im Internetgeschäft längst bekannt sein hätten müssen.
Müssen. Aber auf diese und diverse andere Managementfehler ist wohl zurück zuführen, dass von den 672 Millionen Euro aus der Dot-Com-Boom-Phase noch etwa 140 übrig geblieben sind. Das ist ein Minus von 500 Millionen €. Und auch wenn es aus Gründen der Umrechnung nicht mehr nötig ist, so lassen sie sich die Zahl doch noch einmal auf der Zunge zergehen: Eine Milliarde DM.
Und damit Schluss für’s Erste. Auf zu neuen Ufern, liebe Lycosianer. Jedem neuen Anfang wohnt ein Zauber inne.

edit: Mohn sagt in einem ersten Statement, man habe nicht mit Google mithalten können. Das stimmt sicherlich, aber war das denn der Gegner? Oder war man nicht vielmehr selbst sein größter Gegner?
Und wo ich “rumhacken” schreibe, für sowas findet sich immer jemand.