Malte Welding, Versiebt, verkackt, verheiratet: Vom Leben nach dem Happy End, 204 Seiten, Piper
Taschenbuch (9,99€) und
eBook (8,49€), 2012
Der Flieger startet morgen früh nach Berlin. Wir kommen zum Frühstück an, das ist wichtig. Dann arbeitet der gemeine Berliner und die Touristen sind noch nicht ausgeschwärmt. Aber es ist echt früh, der Flieger geht um Sechsuhrirgendwas. Ich beende den Tag vorm Laptop am Schreibtisch, da kommt mir Malte Weldings neues Buch zu. Das letzte war nicht ganz mein Fall. Aber vielleicht das. Vielleicht sollte man es in Berlin lesen. Vielleicht hilft das. Abgemacht. Weldinglesen in Berlin. Der Authentizität wegen. (Vielleicht meint nun der andere oder eine, dass das nicht fair ist: Sein eigenes Empfinden und das Besprechen eines Buches zu vermischen. Wer das auseinanderhalten möchte, lese im Folgenden einfach nur den eingerückten Text.)
Um zunächst etwas zum Autor verlieren: Malte Welding ist Kolumnist der Berliner Zeitung und in Internetkreisen als Blogger bekannt geworden. Er hat
schöne Artikel zu Spreeblick beigetragen, solche die man jetzt dem Blog wieder wünscht. Daneben hat er für die Blogs
Fooligan,
Neue Bodenständigkeit und
Deus ex machina geschrieben. 2010 erschien sein erstes Buch
Frauen und Männer passen nicht zusammen — auch nicht in der Mitte.
Der Flieger erhebt sich am folgenden Tag pünktlich um 6.40 Uhr in die Lüfte. Die Stewardessen setzen zu ihrer Morgengymnastik an und ich schlage die ersten Seiten auf.
Das Buch handelt von den drei Brüdern Roman, Ben, Paul sowie Pauls Freund Jimo, deren Bekanntschaft Welding hat und die es nach dem Abitur von Aachen nach Berlin verzieht. Allesamt stecken sie in Beziehungen, die ins Stocken geraten. Welding scheint sie privat zu kennen. Wird das jetzt eine Freundesanalyse? Oder ein Roman und mehr als man meint ist fiktiv? Alles bleibt etwas dunkel für den Leser, der ins kalte Wasser geworfen wird. Warum sind die Geschichten der vier so interessant? Ich fühle mich an Marcel Reich-Ranicki erinnert, der mal meinte, er wolle nur noch Problemschilderungen von Intellektuellen lesen. Ich kann das gut verstehen, auch wenn ich selber einfache Literatur zu schätzen weiß. Es muss nicht immer Kaviar sein. Aber weil ich eben Liebesproblematisierungen in der Popkultur von
David Baddiel bis
Verrückt nach dir inhaltlich durchwaten habe, fragt sich doch: Was bietet dieses Buch neues? Außer dass es ein
Friends aus Berlin zu sein scheint? Der Blick in Beziehungen “nach dem Happy End”? Vielleicht ist das Buch eher für Leute, die nur Liebesfilme kennen.
Als wir wieder festen Boden unter den Füßen haben, bemerke ich, dass in Berlin ja noch Winter ist. Mindestens 7 Grad weniger als in Düsseldorf. Es herrscht interkontinentales Klima, wie ich mich aus dem Sachunterricht zu erinnern glaube. Der war aber auch vor der Wende. Ich habe Durst und ziehe mir was am Automaten. Meine Freundin fängt lauthals an zu lachen, als sie die Büchse sieht und berlinert:
Ditt kennwa im Westen ja schon janich mehr: Dosen ohne Pfand!

Die S‑Bahn verspätet sich, ich krame meine Lektüre raus:
Welding stellt jedem Kapitel Zitate voran. Sowas mag ich ja gar nicht. Die Zitate sind nicht sonderlich vomhockerhauend, haben mit dem was folgt auch nicht direkt zu tun. Ich überlese sie konsequent. Die drei Brüder stecken in Beziehungen: Roman hat Mia geheiratet, Mia trennt sich gerade von Paul und Ben ist mit Juila Mia zusammen. Was sind das nun also für Leute?
Wir checken bei meinem Freund am Ostkreuz ein und lernen Maren kennen, die auch dort wohnt. Sie hat Medizin studiert, aber nicht zu ende, ist Mitte 30 und sattelt nun zur Immobilienmaklerin um. Die letzte Prüfung hat sie in Berlin verpasst, kann sie aber, was sie heute erfahren hat, in Rostock ablegen. Und hinterher vielleicht noch etwas studieren — was man in Berlin eben so macht. Über die Brücke am Ostkreuz verschlägt es uns in das Datscha. Es gibt schweres russisches Frühstück…

… und Zeit zum lesen:
Zunächst lernen wir Roman und Paul kennen, nachdem Greta Paul, der sich gerade auf einem LSD-Trip befindet, den Laufpass gegeben hat. Von Roman und Greta erfahren wir, dass beide ein Kind bekommen wollen, aber etwas kontraproduktiverweise das mit dem Sex gerade so gar nicht läuft. Von Ben wissen wir, dass er Architektur studiert oder studiert hat und Paul ist ehrgeizloser Rechtsanwalt. Die Berufe spielen aber im Folgenden keine sonderliche Rolle. Mia hängt an Roman, vielleicht etwas leidenschaftlicher als umgekehrt, Greta scheint eine gutaussehende, willensstarke Frau zu sein. Generell bleibt es aber bei Typisierungen der Charaktere, ein eigenes Bild will sich kaum einstellen. Die Kerle kommen mir vor wie phantasielose, unlustige Tunichtguts. Wenig inspirierend — weder zum Interesse an den Charakteren, noch zum Weiterlesen.
Als wir nachmittags so durch den Osten schlendern, fallen mir die traditionellen Berlinerisms auf. In der Straßenbahn hat gefühlt jeder Zweite eine Bierflasche dabei, im Osten flanieren Hundeköttel die Gehwege, es herrscht distanzierte Humorlosigkeit, hektisches Gehen, Gedrängel, und man sieht, was Frauen in Berlin für Mode halten: Knallenge Leggins zu dunkelwattierten Rettungswesten. Oder wie meine Freundin sich ausdrückt:
Hier laufen selbst die ganz hübschen Mädchen auf hässlich getrimmt rum.
Als irgendwo waschechte Düsseldorferin zieht es sie in eine der 111 Sehenswürdigkeiten des Sehenswürdigkeitenbuches, das in Berlin die Touristen erkennbar macht: Das ganzjährige Verkleidungsgeschäft.

Während sie den Laden auseinandernimmt und sich schließlich für eine überdimensionierte Geburtstagsbrille, sowie 30er Absperrband und Warnschilder für ihren Geburtstag entscheidet, lese ich…
… einen Witz. Tatsächlich. Ich lache auf Seite 130. So, dass einige mich schon komisch anschauen. Öffentliches, spontanes Lachen in Berlin ist so eine Sache. Ich werde aber quasi mit dieser Stelle etwas wärmer mit dem Buch. Ich denke nicht mehr ans Weglegen. Immerhin so gut muss die Lektüre sein. Man kann sie weiterlesen. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass man sich, vielleicht wie in einem Roman, mit irgendeiner Figur derart anfreundet, dass man mitfiebert. Pustekuchen. Dafür gibt es Namedropping: Dawkins, Pinker und die Internetaussteckanekdote von Franzen. Jaja.
Am nächsten Morgen hole ich Brötchen, Saft und Milch. Die B.Z. titelt “ENDLICH! Sauf Verbot in der BVG”. Kritik wird hier ja schnell umgesetzt, denke ich. Ubringens: Die schmierigen Graffiti sind auch scheiße! Ich gelange zur Brötchentheke, an der ich mich nicht entsinnen kann, wie Berliner noch mal in Berlin heißen, lerne dagegen: “Good Cookies go to heaven, bad cookies go to…”

Als ich mit den Frühstückssachen wieder in die Wohnung komme, erzählt Maren, dass sie nun eine Wohnung in Rostock hat. Dafür die Prüfung aber nicht machen kann. Ist nicht immer alles Einbahnstraße. Zum Mittagessen zieht es meine Freundin und mich wieder in den Osten. Hinter den Hackeschen Höfen ist Sushi angesagt. Das Sushi kann es mit den Düsseldorfern aufnehmen. Da ich weniger Teller verputze als meine Begleitung…

… und mir die dortigen Kleidungsfachgeschäfte nicht so zusagen wie meiner Freundin, blättere ich etwas.
Die handelnden Personen im Buch lassen sich offenbar immer von irgendwelchen Gefühlen treiben. Man erfährt eigentlich zu wenig über wirkliche Gründe. Alles bleibt Spekulation, alle Veränderung wirkt wie Einbahnstraße. Das Buch verleitet, selbst über Pärchen nachzudenken. Ich habe nach meiner Abizeit selbst gerne Pärchen analysiert, nach Zielen gefragt, über das Wohlbefinden der einzelnen Partner nachgedacht. Einmal habe ich das einem Bekannten vorgelegt, worauf dieser meinte: “Japp, das klingt alles schlüssig. Und ich glaube auch nicht, dass Beziehungen immer sonderlich glücklich sind unterm Strich. Aber vielleicht sind die damit zufrieden.” Da habe ich mich angefangen, mich in Zurückhaltung zu üben, was andere Pärchen angeht.
Als wir den Rückweg antreten — Rotfront tritt abends für lau im So36 auf‑, kommt uns in Form dreier Personen Mia. entgegen. Sagt zumindest meine Freundin. Ich habe nur Augen für die schulterbepolsterten Lilaanzüge, die mir einen Tick zu metrosexuell vorkommen. Die blonde Begleitung ist zu klein, um mir aufzufallen. Kann sein, dass das Mietze war. Oder auch nicht.

Auf dem Rückweg kommen wir am St. Oberholz vorbei, uns verschlägt es aber in Unser Haus am Meer. Meine Freundin klagt seit 2 Tagen über Seitenstechen. Blinddarm, eventuell. Kann sein, meinte Maren. Ich lasse mir das Wlan-Passwort geben und google die 5 typischen Kennzeichen einer Blinddarmentzündung. Ihre Wehwehchen qualifizieren nicht für was mit Blinddarm.
“Wanderschmerz”, lese ich vor. “Ja, jetzt, wo du’s sagst: im Rücken zieht was!” — “Nee, das soll heißen, der Schmerz wandert zum Blinddarm hin, nicht quer durch den Körper.” — “Ach, so.”
Ihr geht es schlagartig besser. Und während sie herauszufinden versucht, wer die überbotoxte Frau im roten Kleid auf der anderen Seite ist, und ob sie ihren Begleiter aus dem Fernsehen kennt, lese ich das Buch zu ende.
Das Buch ist zu ende gelesen und verhandelt. Das Ende wird nicht verraten. Wir erfahren mehr über Bens Dreiererfahrung, Jimos Familienplanung und die Eltern der drei Brüder. Soviel sei gesagt.
Was rate ich nun einem potentiellen Leser? Vielleicht das, was man einem zu Berlin auch empfehlen würde: Man sollte es selbst erkunden. Ich halte mich nicht für sonderlich repräsentativ, um dieses Buch geschmacklich genau einzuordnen. Dazu hat man, gerade was Liebe als Thema angeht, doch viel Gepäck immer mit dabei.
Ob dieses Buch was für Sie ist, mein geneigter Leser, müssen sie selbst herauskriegen. Vielleicht haben Sie durch die vorangegangen Zeilen etwas Appetit bekommen.