Als die Familienministerin Kristina Schröder vor kurzem zwitscherte, wie könne man es denn als gerecht ansehen, wenn Hartz-4-Empfänger soviel Geld vom Staat erhalten wie andere in unterbezahlten Billigjobs, da meinte sie nachher rechtfertigend, sie habe immerhin mit ihrer Äußerung eine Debatte eingeleitet.
Jetzt durfte sich der Spiegel Mitchefredakteur Mathias Müller von Blumencron die Frage gefallen lassen, wie das Lifestylemagazin SPIEGEL denn dazu komme, einem Rechtsausleger wie Thilo Sarrazin ein derartiges Podium für seine abstrusen Thesen zu bieten. Und auch Müller von Blumencron zog in dieser Bedrängnis die Debattenanregungskarte:
taz: Herr Müller von Blumencron, warum gibt sich der Spiegel für den Vorabdruck des neuen Buchs von Thilo Sarrazin her?
Mathias Müller von Blumencron: Das war keine leichte Entscheidung, wir haben darüber intensiv in der Redaktion debattiert. Auch ich habe lange mit mir gerungen. Sie können sich denken, dass ich den Text weder inhaltlich noch im Ton teile. Er widerspricht meinen Vorstellungen von einer offenen Gesellschaft und der Zukunft dieses Landes diametral. Aber so ist das bei Meinungstexten: Um Debatten einzuleiten, müssen wir auch Beiträge drucken, mit deren Aussagen wir nicht einverstanden sind.
Als ob gerade produktiv über Chancenverbesserung für Immigranten diskutiert würde und nicht über durch angeblich kritische Medien hinausposaunte Fremdenfeindlichkeit. Da kann man mal sehen, wie hirnrissig es ist, sich bei der Rechtfertigung der verantwortlichen Veröffentlichung von Texten nur darauf zu beziehen, dass man eine Debatte angeregt habe. Denn mit diesem Argument müsste der SPIEGEL Leuten wie Claus Cremer von der NPD geradezu eine Kolumne anbieten. Unqualifizierte, rechtslastige Debatten wären dadurch genauso garantiert wie bei Thilo Sarrazin.
Und was das verantwortliche Publizieren von Texten angeht, das soll man sich beim Lesen des SPIEGELs inzwischen selber dazu denken. Das schreiben die nicht mehr explizit rein. Offenbar hat Müller zu Blumencron nicht mal die Frage der taz in ihrer Tragweite verstanden. So wenig wie der Protagonist in Des Kaisers neue Kleider gemerkt hat, dass er nackt war.