Ausgedachte Probleme

Leo Fis­ch­er haut auf Ober­schichtige in der Coro­n­a­pan­demie und das kön­nte man fast direkt in Stein meißeln:

Während die Krankheit Fam­i­lien zer­stört und Mil­lio­nen ins Elend taucht, will die deutsche Ober­schicht vor allem wieder in die Oper gehen. […] Es ist die Empörung ein­er ganzen Klasse, die nicht ein­sieht, dass für sie noch Regeln gel­ten. Maß­nah­men kön­nen ihretwe­gen getrof­fen wer­den, aber nicht für sie — sie wollen weit­er­ma­chen wie bish­er. Über­haupt von Geset­zen betrof­fen zu sein, sich nicht rauskaufen kön­nen, behan­delt zu wer­den wie Hartz-IVler, bei denen sie aber keinen Gedanken an Frei­heit­en und Grun­drechte ver­schwen­den, ist schon der ganze Grund der Empörung.

Fis­ch­er bezieht sich damit auf ein Inter­view mit Juli Zeh, Daniel Kehlmann und Thea Dorn in der Zeit, in dem gnaden­los unun­ter­baut in Sachar­gu­menten über das Vorge­hen der Poli­tik im Pros­em­i­narplaud­er­ton mit Buzz­wörtern und Name­drop­ping geschwurbelt wird. Sowas, was man nach dem Studi­um am Wenig­sten vermisst. 

Ich erin­nere mich an einen Dozen­ten, der bei solcher­lei Mei­n­ungs­beiträ­gen diese mit “Das ist ein inter­es­san­ter Gedanke, den Sie da haben” ver­sah, dann aber über etwas vol­lkom­men anderes weit­erre­dete, wom­it er den Sprechen­den in der Mei­n­ung, er habe tat­säch­lich etwas Sin­nvolles gesagt, hinterließ. 

Man kann Leuten nur schw­er helfen, die belehren, aber nicht belehrt wer­den wollen. Etwa das, was Fis­ch­er auch meint.

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Wie ist das eigentlich … mit Digitalinformationssüchtigen?

Es gab vor Jahren ein­mal einen Vorstoß, Inter­net­süchtige auszu­machen und ihnen zu helfen. Irgend­wie fand ich das komisch, schließlich saßen unge­mein viele Men­schen ziem­lich lange vor ihren Bild­schir­men und die Merk­male ein­er Inter­net­sucht, was für ein komis­ches Wort, waren nicht son­der­lich abgren­zend. Man kon­nte es ihnen im Sozialver­hal­ten auch nicht anse­hen und ich hat­te nur einen Bekan­nten, der in psy­chis­ch­er Behand­lung war und als allererstes ein Face­book-Ver­bot bekam.

Bei Dig­i­tal­in­for­ma­tion­ssüchti­gen, manch­mal Handysüchtige genan­nt, wobei sie allerd­ings nicht Geräte süchtig sind, ist das anders. Man sieht dauernd Leute, die angestrengd und uner­holt auss­chauend auf ihr Handy schauen. Wuasi über­all: Im Auto, in Straßen­bah­nen, in Cafés, selb­st im eige­nen pri­vat­en Gespäch­sum­feld, will sagen: Selb­st im Gespräch lassen Leute nicht von ihrem Handy, müssen darauf schauen, und entschuldigen es mit “Ich hör dir zu.” Als ob ein Gespräch nur aus Zuhören bestünde.

Wed­er ver­ste­he ich, was man dauernd anlass­los auf seinem Handy zu suchen hat, noch ver­ste­he ich, was die Leute als Beloh­nungs­kick erhal­ten, noch kann ich mich vom Ein­druck entledi­gen, dass mich so ein Ver­hal­ten ziem­lich abstößt.

Aber will man was sagen? Den pri­vat­en Spielverder­ber spie­len? So ein Ver­hal­ten wird sicher­lich nicht weniger in den kom­menden Jahren. Überge­ht man die Sit­u­a­tion wie mit anderen, in denen Leute einem akuten Hau nachge­hen? Bish­er kam mir das bei anderen Mack­en nie so chro­nisch vor.

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Alternative zu Fakten

Das Lokalblättchen mein­er Heimat­stadt hat eine son­der­bare Kam­pagne ges­tartet, deren Inhalt es ist, dass die Jour­nal­is­ten ihrer Zeitung ange­blich keine Fake-News ver­bre­it­en. Einen dazu gehöri­gen Ausspruch, den man bei der Zeitung offen­bar für richtig hält, habe ich etwas genauer unter die Lupe genommen: 

Zu Fak­ten gibt es keine Alternative.

Das ist schlicht falsch. Die Alter­na­tiv­en zu Fak­ten sind Mei­n­un­gen. Und wenn man ger­ade nichts anderes zur Ver­fü­gung hat, sind der­ar­tige Mei­n­un­gen lebenswichtig. Das ist doch ger­ade der Witz in Spielfil­men, bei denen eine Bombe entschärft wer­den soll, der Held kein Fak­ten­wis­sen hat und über eine gescheite Mei­n­ung ver­suchen muss, das Prob­lem zu lösen.

Was man bei der Zeitung wohl eigentlich meinte — und das ist auch nur eine Ver­mu­tung — ist, dass es keine alter­na­tiv­en Fak­ten gibt. Das bedeutet, dass es zu darstell­baren Tat­sachen keine alter­na­tiv­en Erk­lärun­gen gibt, die vom sel­ben Gegen­stand han­deln, und etwas bezo­gen auf eine Tat­sache gegen­sät­zlich­es in richtiger Weise darstellen. Es ist entwed­er die eine oder die andere Erk­lärung richtig. Bei Ver­schieden­heits­be­haup­tun­gen kommt es oft vor, dass schlicht nicht vom sel­ben Gegen­stand in gle­icher­weise die Rede ist.

An dieser Stelle beste­ht eine Schwierigkeit, mit der Per­so­n­en, die poli­tis­chen Willen trotz Fak­ten­lage durch­set­zen wollen, nutzen kön­nen: Es ist erk­lärungs­bedürftig, wieso eine Tat­sachen­dar­legung nur als Sin­gu­lar­ität gültig sein kann. Ohne eine lange philosophis­che Dar­legung hier zu erörtern: Es hat mit der geisti­gen Ver­an­la­gung des Men­schen zu tun. Es fol­gt die näch­ste Schwierigkeit: Erk­lärun­gen dauern mitunter etwas länger. Da schal­ten viele ab, meinen, was nicht ein­fach erk­lär­bar sei, wäre deswe­gen schon falsch. Wenn Sie schon bish­er gele­sen haben, wis­sen sie um den Aufwand, den so ein Lesen mit sich bringt — und wie viele gehen da schon nicht mit.

Wer nun unter­stellt, es gäbe diese Beschaf­fen­heit von Tat­sachen nicht, der erk­lärt alle Tat­sachen zu Mei­n­un­gen. Insofern ist auch gerne von der herrschen­den Mei­n­ung die Rede. Hier kommt hinzu, dass es inzwis­chen unter den Men­schen so viele Fachge­bi­ete gibt, dass nie­mand mehr wie früher in allen Fachge­bi­eten kom­pe­tent ist. Das bedeutet auch Experten haben sich in für sie fach­frem­den Gebi­eten mit Mei­n­un­gen zu behelfen.

Und nach so viel Vor­lauf sind wir beim eigentlichen gesellschaftlichen Prob­lem: Es gibt wirk­lich viele Men­schen, die denken, es gäbe nur Mei­n­un­gen und dementsprechend herrschende Meinungen. 

Ein­er­seits ist es per­sön­lich eine sehr unan­genehme Posi­tion, so etwas wirk­lich zu denken, denn das Erk­lären der Welt anhand von Tat­sachen hat doch noch etwas stark Befriedi­gen­des. Wenn Kinder in der Schule eine Math­eauf­gabe richtig lösen und sie das erken­nen, kriegen sie eben einen Kick, aber lös­brüllen wer­den die Wenig­sten. Dem kommt ein bloß mei­n­ungs­basieren­des Rechthabege­fühl schon nahe, aber während ersteres meist geräusch­los abge­ht, muss z.B. bei den pop­ulis­tis­chen Parteien immer unheim­lich gebrüllt wer­den. Es muss mit Emo­tion aufge­laden wer­den, weil ein Restzweifel, ein skep­tis­ches Unsicher­heits­ge­fühl bleibt: Was ist, wenn meine Mei­n­ung falsch ist? Werde ich dann als Idiot ver­pot­tet? Vor solchen Zweifeln wird auch schnell weg ger­an­nt, indem man schle­u­nigst das The­ma wech­selt — dann kostet es Kri­tik­er ja wieder etwas Zeit, um das neuer­liche The­ma sach­lich richtig auseinan­der zu nehmen. Wer gegen so eine Posi­tion hält, muss eben­so damit rech­nen, angepö­belt zu werden.

Ander­er­seits sind Tat­sachen darstell­bar, eben­so die Meth­o­d­en und Grun­dan­nah­men, auf denen sie beruhen. Nicht alles, was als Tat­sache dargestellt wird, ist eine, das ändert nichts daran, dass es Tat­sachen und richtige Tat­sachen­darstel­lun­gen gibt. Um das Mei­n­un­gen von Tat­sachen tren­nen zu kön­nen braucht man Ruhe und eine grundle­gende Bildung.

Ich halte die durchgängige Ein­stel­lung, es gäbe nur Mei­n­un­gen und keine Tat­sachen, für kaum annehm­bar, wenn wir es nicht mit psy­chisch stark beein­trächtigten Per­so­n­en zu tun haben. Der Men­sch kann ein­fach seine geistige Beschaf­fen­heit nicht abschüt­teln. So wenig, wie er sich denken kann, er sein nicht Ini­tia­tor von Hand­lun­gen seines Kör­pers. Das ist auch nicht das eigentliche Problem. 

Das Prob­lem ist eine Macht­poli­tik, die mit Hil­fe von Pop­ulis­mus Entschei­dun­gen trotz Tat­sachen, aus denen Hand­lungs­maxi­men erwach­sen, die gegen eben diese Entschei­dun­gen sprechen, durch­set­zen will.

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Manche Texte lese ich schon wegen des verunglück­ten Ein­stiegs nicht weiter:

Das Konzept von “too much infor­ma­tion”, von zu vie­len pri­vat­en Details also, scheint im Leben der Lena Dun­ham keine allzu große Rolle zu spielen.

Das bedeutet der Aus­druck nicht.

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Reinhold Galls angebliche Freiheitsrechte

Tja, die SPD ist wohl inhaltlich schon so tot, dass die eige­nen Leute auf ihrem Sarg zu tanzen beginnen:

Ich weiß nicht, was “ver­meintliche Frei­heit­srechte” sind oder wie man auf ver­meintliche Rechte verzicht­en kann. Das klingt unge­fähr so sin­nvoll, als wolle man als Men­sch auf sein ver­meintlich­es Recht zu fliegen verzicht­en. Das Inter­es­sante ist, dass in diesem Satz ein “dadurch” fehlt. So wie er geschrieben wurde, ist nur von einem zeitlichen Aufeian­der­folge die Rede, wenn dies passiert, passiert das. 

Sprich: Wenn dieses Wir einen Kinder­schän­der schnappt, gibt Rein­hold Gall seine ver­meintlichen Frei­heit­srechte auf. Die Blö­den haben eine neue Heimat. Oder um es den Hernn sel­ber sagen zu lassen :

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Was nicht passt

Sam­stag, 11.03 Uhr, Klin­gelin­geling.

Ich: „Guten Tag. Haben Sie Schrauben?”

Ladenchefin „Was wären wir wohl für ein Elek­tro­laden, wenn wir keine Schrauben hätten?”

Ich „Dann bräuchte ich mal vier Achter und passende Dübel.”

Ladenchefin „Bitte, hier. Son­st noch was? Nein? Dann schö­nen Tag noch.”

Ich „Na, ich weiß nicht, ob das mein let­zter Besuch heute war.”

Ladenchefin „Wir haben noch bis 14 Uhr auf. Bis dann.”

11.40 Uhr
, Klin­gelin­geling.

Ladenchefin „Ach, Sie schon wieder.”

Ich „Ich bräuchte noch mal vier Neue von denen da:”

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Ladenchefin „Meine Güte, wat hamse denn damit gemacht?!”

Ich „Öhhh…

Juniorchef „Gebohrt, reingestopft und mit dem Ham­mer hin­ter­herge­hauen, dass der wohl doch noch reingeht.”

Ich „Ja, sich­er.”

Ladenchefin ver­dreht die Augen.

Juniorchef „Ist ja nicht so, dass ich das noch nie gebohrt hätte.”

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Vertrauen

kannitverstanIn zwei unter­schiedlichen Blogs war ger­ade die Rede von Ver­trauen: Bei Had­mut Danisch und Felix Schwen­zel. Zwei sehr unter­schiedlichen Blogs. Hart­mut Dan­ish nahm die Fed­er auf, dass selb­st unter Krim­inellen Ver­trauen herrschen müsse, damit Sys­teme wie das der Mafia funk­tion­iere. Felix Schwen­zel schreibt darüber, dass Ver­trauen gegenüber Fir­men darüber entschei­de, wie groß der Zus­pruch ihrer Kun­den sei. Was bedeutet nun eigentlich Vertrauen?

Ver­trauen ist die zwis­chen­men­schliche, nichtver­tragliche Annahme, mein Gegenüber bekenne sich ein­er moralis­chen Ver­ant­wor­tung´, sei daher mir gegenüber aufrichtig und wolle mir durch das, was er tut, nicht schaden. Insofern ist Mis­strauen sicher­lich das Gegen­stück zu Ver­trauen, aber Ver­trauen ist mehr als die Abwe­sen­heit von Mis­strauen, was auch lediglich Unbeküm­mertheit sein kann: Man hegt keinen Argwohn.

Im eigentlichen Kon­text bezieht sich Ver­traue auf ein soziales Ver­hält­nis zwis­chen moralis­chen Per­so­n­en. Es richtet sich nicht auf juris­tis­che Personen.

Der Fehler, der im Mafia-Beispiel began­gen wird, das Danisch auf­greift, ist, dass Ver­trauen lediglich als funk­tion­ieren­des Net­zw­erk ange­se­hen wird. Die Mafia ist oft­mals ein funk­tion­ieren­des Net­zw­erk, beruht aber grundle­gend auf Mis­strauen, Angst und Geldgi­er. Sofern ein Teil des Net­zw­erkes die Spiel­regeln dieses Net­zw­erks ken­nt, weiß er, dass er nie­man­dem inner­halb des Net­zw­erkes, außer eventuell sein­er genetis­chen Fam­i­lie, d.i. Per­so­n­en, die in einem grun­f­sät­zlichem sozialen Ver­hält­nis ihm gegenüber ste­hen, ver­trauen sollte. Zwar kann er davon aus­ge­hen, dass es bes­timmte Funk­tion­sweisen inner­halb dieses Net­zw­erkes gibt, mit anderen Worten: Er kann darauf ver­trauen, dass bes­timmte Hand­lungsweisen von stat­ten gehen, allerd­ings ist diese Rede von Ver­trauen nur eine über­tra­gene. Kurzum: Im Kern heitß Ver­trauen inner­halb des Mafia-Beispiels: Die Mafia ist ein funk­tion­ieren­des Net­zw­erk, weil das Net­zw­erk funk­tion­iert. Rede ich davon, dass selb­st die Mafia Ver­trauen brauche, ver­mis­che ich zwei Redeweisen von Ver­trauen: Die ursprünglich moralis­che und die über­tra­ge­nen, bloß technische.

Und wenn Felix Schwen­zel “das angesichts der unfass­barkeit all dieser hin­ter­fotzigkeit und unaufrichtigkeit” von Fir­men sein Pop­corn im Halse steckt, sollte eben­so berück­sichtigt wer­den, dass es schon ein Fehler war, bei Fir­men in moralis­chem Sinne von Ver­trauen auszuge­hen. Wie beim Mafia-Beispiel kann man nur davon aus­ge­hen, dass ein Net­zw­erk funk­tion­iert, wobei dieses in Rede ste­hende Net­zw­erk Nutzer offen­bar als moralis­che Per­so­n­en anerken­nen sollte und nicht lediglich als tech­nis­che Bausteine. Aus bloßer Sicht der Spielthe­o­rie völ­lig unverständlich.

[ Foto: Rachel PaschWhat part of… | CC BY-NC 2.0 ]

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