In Die Anstalt hat man einen Beitrag gebracht, man solle doch Kant vom Sockel stoßen, was auch immer das für ein Sockel sein soll. Ihn kritisch zu lesen ist ja gerade seine Philosophie. Es geht wohl um diesen Abschnitt einer Vorlesungsmitschrift aus dem Jahre 1775:
Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Theil der amerikanischen Völkerschaften.
Menschheit ist bei Kant nicht in heutiger Verwendung gebraucht, es geht nicht um den Gattungsbegriff, sondern um das Menschsein. Somit wäre hiermit gemeint, entwicklungsmäßig lägen die Weißen vorne, ohne zu sagen, wieso. Nun ist dieser Text in einem Band erschienen, den Kant nicht selbst veröffentlicht und abgesegnet hat und der Herausgeber schreibt auch:
Indessen bemerke ich schließlich nur dieses noch, daß vorzüglich der naturbeschreibende oder naturhistorische Theil gegenwärtigen Werkes fast einer gänzlichen Umarbeitung bedurft hätte, wie jeder einsehen muß, der auch nur eine sehr gewöhnliche Kenntniß der Sache nach Maßgabe unserer Zeit besitzt. Aber hätte ich das gewagt, wie viele Krittler würde ich, namentlich nach dem oben Gesagten, gegen mich gehabt haben!
So ganz so einfach, wie man es in der Anstalt sieht, liegt die Sache nicht.
Micha Brumlik hat schon vor der Sendung zur Verteidigung Kants angehoben:
Immanuel Kant hatte zwar rassistische Vorurteile, glaubte aber nicht daran, dass „Rasseeigenschaften“ angeboren und unveränderlich seien. Er war zudem ein Gegner von Leibeigenschaft wie Sklaverei und schon früh einer der schärfsten Kritiker der kolonialen Expansion europäischer Staaten. Dieses Denkmal kann, nein, muss geradezu stehen bleiben.
Klingt nett, aber im ersten Zitat ist beispielsweise vom Talent die Rede, was nach Kant gleichbedeutend mit Naturgabe ist, und das klingt dann schon sehr nach dem, was Brumlik mit Rasseeigenschaften meint. Aber, wie gesagt, Kant hat diesen Band nicht selbst herausgegeben oder gelesen. Der Band kommt auch aus der so genannten vorkritischen Phase, und dort finden sich viele Beispiele, die mit den kritischen Werken Kants in Kontrast stehen.
Insofern wird man zur Beantwortung der Frage, tiefer in die Texte einsteigen müssen, und wer das nicht will, sollte sich vielleicht wieder eines vorurteilbehafteten Urteils enthalten.
Ich lese diese Stellen aus den naturhistorischen Befassungen Kants so, wie der Herausgeber oben schreibt: Sie hätten offensichtlich einer gänzlichen Umarbeitung bedurft.