Ich verstehe nicht, warum den Türken in Deutschland noch nicht der Kragen geplatzt ist (und damit meine ich alle Mitbürger mit türkischem Hintergrund): Da schwingt sich einerseits der türkische Ministerpräsident auf, ihnen zu erklären, wie sie in Deutschland ihr Leben zu führen haben: Nur unter Wahrung ihrer kulturellen Identität, und das bedeutet grundsätzlich, dass zunächst die türkische Sprache gelernt werden müsse. Und da schwingen sich im Gegenzug deutsche Politiker auf und sagen: Auf jeden Fall müsse die deutsche Sprache beherrscht werden und Integration in die deutsche Gesellschaft, die müsse stattfinden. Was hat das denn überhaupt mit der Lebenswirklichkeit immigrierter Türken in Deutschland zu tun?
Am Donnerstag war ich in einer Vorstellung von Hape Kerkelings Kein Pardon. Das ist eine unterm Strich durchaus geglückte Musical-Version eines Hape-Kerkeling-Films mit einem kleinen Schönheitsfehler: Kurz vor Ende kommt es zu einer Szene, in dem der Opa des Stücks das Selbstbild des Ruhrpottlers kennzeichnet. Er führt auch an, dass irgendwann Gastarbeiter ins Ruhrgebiet kamen, die man integrierte, dann kommen Mütter mit Kinderwagen auf die Bühne, klappen Fähnchen aus mit diversen Länderflaggen, die ihre Herkunft anzeigen sollen und alle auf der Bühne führen ein kleines Tänzchen auf. Der Schönheitsfehler dieser Szene ist: So eine Integration hat nie stattgefunden. Gestern sah ich die Dokumentation von Günter Wallraff als schwarzem Gastarbeiter in Deutschland. Zum Ende des Films geht er in eine Kneipe und führt sich so auf, wie Deutsche sich in einer Kneipe aufführen. Das Ergebnis ist, dass er umgehend aus der Kneipe geschmissen wird.
Dass Integration in Deutschland scheitert, liegt vor allem an Deutschen.
Dieses beklemmende Eingeständnis liest sich auch zwischen den Zeilen eines Textes von Karen Krüger über die Morde der sogenannten NSU. Sicherlich muss man bei den Morden den persönlichen Hintergrund erforschen. Doch die deutsche Presse und die deutschen Rechtsverfolgungsorgane haben nicht nach einem nicht-persönlichem Motiv gesucht, obwohl in keinem Fall irgendetwas auf so ein Motiv hingedeutet hat. Trotz der sachlichen Schwierigkeit, in diesem Fall einen guten Hinweis zur Auflösung des Falles zu bekommen, hat Karen Krüger völlig recht, wenn sie schreibt:
Die Hintergründe, die in den vergangenen Tagen ans Tageslicht gekommen sind, […] erzählen aber auch, was für ein Türken-Bild in Deutschland regiert. Nicht nur die polizeilichen Ermittler ließen sich offensichtlich von Klischees über Deutschtürken leiten, sondern auch die Öffentlichkeit machte mit. „Hingerichtet von der Halbmond-Mafia“, hieß es am Tag nach der Ermordung von Theodoros Boulgarides einer Münchner Zeitung. [… Es] wurde wild über denkbare Hintergründe spekuliert, die Möglichkeit einer rechtsextremistischen Tat aber nicht in Betracht gezogen: Im türkischen Milieu kann es eben auch mal knallen.
Eine der fiesesten Szenen aus dem Deutschen Bundestag ist die, als in den 80ern Marieluise Beck über das neue Thema der Vergewaltigung in der Ehe spricht und sich im Publikum des Bundestages Gelächter der Abgeordneten breit macht: In deren Welt kann es das Unvorstellbare, eine grundlegende eigene soziale Störung, so nicht geben.
Die eigene Verblendung, die auf Kosten von schwachen Anderen geht, ist das eigentliche Thema dieses fremdenfeindlichen Vorfalls. Niemand erwartet, dass man einen Staat schafft, der komplett gefeit ist vor durchgeknallten, fremdenfeindlichen, mordenden Kriminellen. Aber eine so zur Schau getragene Respektlosigkeit vor den Opfern, die kann man sich sparen. Und sowas ist das nichthinterfragte Integrationsideal in Deutschland. Unglaublich.