
Es gibt immer wieder Zeitgenossen, die mit Kabarettisten nicht klar kommen. Leute, die meinen, man dürfe das so nicht sagen, was Kabarettisten so sagen. Ein paar davon dürfen für die Süddeutsche Zeitung schreiben.
Angefangen hat alles mit einem Kommentar von Hans Holzhaider:
Am Samstag auf dem Münchner Odeonsplatz mokierte sich Urban Priol vor etwa 30.000 Zuhörern über Wolfgang Bosbach, den Vorsitzenden des Innenausschusses im Bundestags, der vor einem “Rückfall in die Terrorspirale der siebziger Jahre” gewarnt habe. Er höre schon das Stammtischgegrummel, sagte Priol: “Die hätten heute wieder gut zu tun in Deutschland.” Aber wen “von diesen Nasen” solle man denn heute entführen? Einer wie der Brüderle “der textet die doch so zu, dass die den Kofferraum aufsperren und sagen: Bitte geh!” Zur Ehrenrettung des Publikums muss man sagen, dass niemand lachte, und dass etliche Pfiffe zu hören waren.
Da muss bei Holzhaider aber die Hörleistung ausgesetzt haben: Die Leute haben sehr wohl gelacht und applaudiert. Und wie will er eigentlich beim Pfeifkonzert der Veranstaltung Unterstützerpfeifen und Protest-gegen-Vortragende-Pfeifen unterscheiden? Holzhaider ignoriert auch vollkommen, dass Bosbachs Anspielung auf die Demonstrationen gemünzt war und dass insofern die Übertreibung dort schon statt fand.
Da ist auch noch Olaf Przybilla. Dieser meint, dass Priol mit obiger Aussage die Frage aufwerfe, was Satire eigentlich darf. Alles, meint Tucholsky. Zumindest nicht das, was Priol vom Stapel lässt, Przybilla. Und warum nicht? WARUM NICHT? Das hat Przybilla vergessen zu schreiben. Veröffentlicht hat es die Süddeutsche dennoch. “Es gab Zuhörer auf dem Odeonsplatz, denen der Atem gestockt hat bei diesen Sätzen.” schreibt Przybilla. Das ist kein Zeichen für schlechtes Kabarett. Was dieses Gebashe in der Süddeutschen Zeitung verloren hat, das erschließt sich mir nicht.
Noch etwas härter ins Gericht mit Priol geht Hilmar Klute: Für ihn ist Priol ein Vulgärkabarettist und “das Schießgewehr eines entfesselten Spießbürgertums”. Solche Titulierungen muss man sich auch erst einmal verdienen.
Satire darf alles? Ja, Gott, in einer Demokratie darf ja jeder fast alles sagen. Man soll aber bitte nicht vergessen, dass die Satire eine Kunstform ist — und dass Kurt Tucholsky diesen Satz nur schrieb, weil er wusste, dass Satire ausschließlich dann zugreifen kann, wenn sie eine souveräne Distanz zu ihrem Gegenstand gefunden hat. Priol hat das nie verstanden. Er weiß nicht, dass ein politischer Kabarettist niemals auf dem wohlplanierten Feldherrnhügel der Meinungshoheit stehen darf, sondern selbst Teil seines Redens sein muss.
Ich glaube ja, Klute hat weder Priol noch Tucholsky verstanden. Denn letzterer schreibt:
Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden. Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist.
Aber Klute tut dem Leser ja den Gefallen, einen der albernsten Sätze, den der Journalismus in Deutschland hervorgebracht hat, rauszukramen:
Das politische Kabarett in Deutschland, es ist längst tot.
Toll. Schon tausendfach gehört, diese Pöbelei. Ich empfehle hier das Fachbuch für Nörgelei. Und was meint Tucholsky dazu?
Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.
Und dabei kannte Tucholsky die Merkel gar nicht.