Die Union hat gestern gemeint, man solle derzeit im Fall Guttenberg Ruhe einkehren lassen, aber angesichts des Umstands, dass Guttenberg in diesem Schatten gestern eine solche Dolchstoßlegende vom Stapel gelassen hat, ignoriere ich diesen Wunsch einmal.
Guttenberg behandelt in seiner Rücktrittsrede (s.u.) grob vier Oberthemen:
1. Den Schulterschluss zu seinen Verbündeten
(Merkel in [1] und [39], “die Mehrheit der deutschen Bevölkerung”, die vielen Mitgliedern der Union, Seehofer und den Soldatinnen und Soldaten, “die mir bis heute den Rücken stärkten” in [38], letztere auch in [22]),
2. Das Identifizieren und Abkanzeln seiner “Gegner”
([6], [7], [9 “wenn es…” > soll es ja nicht], [30], [31], [32], [35] und [41]),
3. Die Sachlage
([5], [10], [16], [22], [35]),
und alles überstrahlend
4. Die historische und charakterliche Größe der eigenen Person
([2], [4], [5], [7], [8], [11], [12], [13], [14], [18], [19], [20], [22], [23], [24], [25], [27], [28], [29], [32], [33], [34], [36], [42] und [43]).
Abgesehen von der Gewichtung der einzelnen Bereiche fällt auf, dass der Sachlage im Zusammenhang nie mehr als ein Satz gewidmet wird. Und diese Sätze stehen so weit voneinander entfernt, dass sie für einen Zuhörer nicht in einem Zusammenhang stehen.
In der Selbstinszenierung dreht Guttenberg seine Realitätsdarstellung natürlich auch so, als sei sein Handeln eine Reaktion auf die in Rede stehende Sachlage. In [3] sagt er, er gehe nicht allein wegen seines Plagiats. Aber schon in [10] ignoriert er [3] und sagt, er gehe, weil er nicht mehr verantworten könne, dass es [9] auf dem Rücken der Soldaten in den Medien nur noch um seine Person ginge. Unser Held geht [31] als Opfer zerstörerischer medialer und politischer Mechanismen, um andere zu schützen, um sich aufzuopfern, weil er sich [43] eh schon aufgeopfert hat. Wohlgemerkt: Schuld an [7] sind die Medien ([6] und [29]).
Guttenbergs Dolchstoßlegende besagt, dass [30] die Medien den sich [43] im Kampf befindenden Guttenberg von hinten mit einem eigentlich nahezu [21] verjährten Thema auf Kosten [7] verwundeter und getöteter Soldaten so [43] moralisch entkräftet und [30] überthematisiert hätten, dass ein Rücktritt [43] persönlich und [9] sachlich unausweichlich war.
Kleiner geht’s nicht.
Zunächst: Guttenberg hat in den letzten Wochen wiederholt abgestritten, ein Plagiat angefertigt zu haben. Insofern ist das in Rede stehende Thema brennend aktuell. Diese Dolchstoßlegende ist aber gerade deswegen so perfide, weil Guttenberg sich selbst so ins Blitzlichtgewitter gestürzt hat. Er ist ja nicht gezwungen worden, eine Kerner-Sendung aus Afghanistan mitzumoderieren oder vor Kameras der Klatschpresse in Pose zu hüpfen. Und er selbst ist es, der mediale und politische Mechanismen betätigt, indem er einerseits bis Montag versucht hat, das Thema auszusitzen ohne die Konsequenzen, aus denen er nach eigener Inszenierung [10] schließlich zurücktritt, ziehen zu müssen, und andererseits indem er auch im Abgang den Schulterschluss zur “Bild”-“Zeitung” ausführt und diese als erstes Medium informiert. So schmierig ist der letzte Akt des Verteidigungsminsters Guttenberg.
Man kann nur hoffen, dass ein paar Leute in der Union dankbar sind, was für ein Kelch da gerade an ihnen vorbei gegangen ist.
Die Rücktrittserklärung Karl-Theodor Guttenbergs als Verteidigungsminister am 01. März 2011
[1] Ich habe in einem sehr freundschaftlichen Gespräch die Frau Bundeskanzlerin informiert, dass ich mich von meinen politischen Ämtern zurückziehen werde und um meine Entlassung gebeten. [2] Es ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens. [3] Und ich gehe nicht alleine wegen meiner so fehlerhaften Doktorarbeit, wiewohl ich verstehe, dass dies für große Teile der Wissenschaft ein Anlass wäre. [4] Der Grund liegt im Besonderen in der Frage, ob ich den höchsten Ansprüchen, die ich selbst an meine Verantwortung anlege, noch nachkommen kann.
[5] Ich trage bis zur Stunde Verantwortung in einem fordernden Amt. [6] Verantwortung, die möglichst ungeteilte Konzentration und fehlerfreie Arbeit verlangt — mit Blick auf die größte Bundeswehrreform in der Geschichte, die ich angestoßen habe, und mit Blick auf eine gestärkte Bundeswehr mit großartigen Truppen im Einsatz, die mir engstens ans Herz gewachsen sind. [7] Wenn allerdings, wie in den letzten Wochen geschehen, die öffentliche und mediale Betrachtung fast ausschließlich auf die Person Guttenberg und seine Dissertation statt beispielsweise auf den Tod und die Verwundung von 13 Soldaten abzielt, so findet eine dramatische Verschiebung der Aufmerksamkeit zulasten der mir Anvertrauten statt.
[8] Unter umgekehrten Vorzeichen gilt Gleiches für den Umstand, dass wochenlang meine Maßnahmen bezüglich der “Gorch Fock” die weltbewegenden Ereignisse in Nordafrika zu überlagern schienen. [9] Wenn es auf dem Rücken der Soldaten nur noch um meine Person gehen soll, kann ich dies nicht mehr verantworten. [10] Und deswegen ziehe ich, da das Amt, Bundeswehr, die Wissenschaft und die mich tragenden Parteien Schaden zu nehmen drohen, die Konsequenz, die ich auch von anderen verlangt habe und verlangt hätte.
[11] Ich habe wie jeder andere auch zu meinen Schwächen und Fehlern zu stehen. [12] Zu großen und kleinen im politischen Handeln, bis hin zum Schreiben meiner Doktorarbeit. [13] Und mir war immer wichtig, diese vor der Öffentlichkeit nicht zu verbergen. [14] Deswegen habe ich mich aufrichtig bei all jenen entschuldigt, die ich aufgrund meiner Fehler und Versäumnisse verletzt habe. [15] Und ich wiederhole dies auch ausdrücklich heute. [16] Manche mögen sich fragen, weshalb ich erst heute zurücktrete. [17] Zunächst ein möglicherweise für manche unbefriedigender, aber allzu menschlicher Grund.
[18] Wohl niemand wird leicht, geschweige denn leichtfertig, das Amt aufgeben wollen, an dem das ganze Herzblut hängt. [19] Ein Amt, das Verantwortung für viele Menschen und deren Leben beinhaltet. [20] Hinzu kommt der Umstand, dass ich mir für eine Entscheidung dieser Tragweite jenseits der hohen medialen und oppositionellen Taktfrequenz die gebotene Zeit zu nehmen hatte. [21] Zumal Vorgänge in Rede stehen, die Jahre vor meiner Amtsübernahme lagen.
[22] Nachdem dieser Tage viel über Anstand diskutiert wurde, war es für mich gerade eine Frage des Anstandes, zunächst die drei gefallenen Soldaten mit Würde zu Grabe zu tragen und nicht erneut ihr Gedenken durch Debatten über meine Person überlagern zu lassen. [23] Es war auch ein Gebot der Verantwortung gegenüber diesen, ja gegenüber allen Soldaten. [24] Und es gehört sich, ein weitgehend bestelltes Haus zu hinterlassen. [25] Deshalb letzte Woche noch einmal viel Kraft auf den nächsten entscheidenden Reformschritt verwandt wurde, der nun von meinem Nachfolger bestens vorbereitet verabschiedet werden kann. [26] Das Konzept der Reform steht.
[27] Angesicht massiver Vorwürfe bezüglich meiner Glaubwürdigkeit ist mir auch ein aufrichtiges Anliegen, mich an der Klärung der Fragen hinsichtlich meiner Dissertation zu beteiligen: Zum einen gegenüber der Universität Bayreuth, wo ich mit der Bitte um Rücknahme des Doktortitels bereits Konsequenzen gezogen habe. [28] Zum anderen habe ich zugleich Respekt vor all jenen, die die Vorgänge zudem strafrechtlich überprüft sehen wollen. [29] Es würde daher nach meiner Überzeugung im öffentlichen wie in meinem eigenen Interesse liegen, wenn auch die staatsanwaltlichen Ermittlungen etwa bezüglich urheberrechtlicher Fragen nach Aufhebung der parlamentarischen Immunität, sollte dies noch erforderlich sein, zeitnah geführt werden können.
[30] Die enorme Wucht der medialen Betrachtung meiner Person, zu der ich selbst viel beigetragen habe, aber auch die Qualität der Auseinandersetzung bleiben nicht ohne Wirkung auf mich selbst und meine Familie. [31] Es ist bekannt, dass die Mechanismen im politischen und medialen Geschäft zerstörerisch sein können. [32] Wer sich für die Politik entscheidet, darf, wenn dem so ist, kein Mitleid erwarten. [33] Das würde ich auch nicht in Anspruch nehmen. [34] Ich darf auch nicht den Respekt erwarten, mit dem Rücktrittsentscheidungen so häufig entgegen genommen werden.
[35] Nun wird es vielleicht heißen, der Guttenberg ist den Kräften der Politik nicht gewachsen. [36] Das mag sein oder nicht sein. [37] Wenn ich es aber nur wäre, indem ich meinen Charakter veränderte, dann müsste ich gerade deswegen handeln. [38] Ich danke von ganzem Herzen der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung, den vielen Mitgliedern der Union, meinem Parteivorsitzenden und insbesondere den Soldatinnen und Soldaten, die mir bis heute den Rücken stärkten, als Bundesverteidigungsminister nicht zurückzutreten.
[39] Und ich danke besonders der Frau Bundeskanzlerin, für alle erfahrene Unterstützung und ihr großes Vertrauen und Verständnis. [40] Es ist mir aber nicht mehr möglich, den in mich gesetzten Erwartungen mit dem mir notwendigen Maß an Unabhängigkeit in der Verantwortung gerecht zu werden. [41] Insofern gebe ich meinen Gegnern gerne recht, dass ich tatsächlich nicht zum Selbstverteidigungs‑, sondern zum Minister der Verteidigung berufen wurde. [42] Abschließend ein Satz, der für einen Politiker ungewöhnlich klingen mag. [43] Ich war immer bereit, zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht. [44] Vielen Dank.