Natürlich ist Kindesmissbrauch ein Verbrechen. Natürlich kann man darüber streiten, inwieweit die Gesetzeslage derartige Verbrechen genügend unter Strafe stellt. Aber dass bei diesem Thema emotional angefixte Personen der Sache nach rationale Erwägungen ohne weiteres über den Haufen schmeissen, um ihren angestachelten Emotionen freien Lauf zu lassen, das ist bemerkenswert. In der FAZ geht das im Artikel von Christian Geyer so:
Die Materie, die bei den Strafverfolgungsbehörden unter dem verniedlichenden Namen „Cyber Grooming“ läuft, ist zu widerlich, um sich wirklich mit ihr beschäftigen zu wollen. Es ist jedoch genau dieser Widerwille, der den Tätern hilft, leichte Beute zu machen. Deshalb hat der Prangereffekt, auf dem „Tatort Internet“ beruht, nichts Obszönes. Die Täter lassen einem keine Wahl.
Was sich hier wie die Einleitung in einen amerikanischen Rache-Baller-Film ist die Analyse einer der bedeutendsten Tageszeitungen Deutschlands zur RTL2-Sendung Tatort Internet. Für wen Taten, die man für Verbrechen befindet, nicht geahndet werden, dem bleibt ja immer noch die Selbstjustiz: Die Täter lassen einem ja keine Wahl.
Natürlich lassen die Täter eine Wahl: Eltern können den Internetgebrauch ihrer Kinder beobachten, Webcams nur eingeschränkt an Kinder abgeben. Wäre das Argument Die Täter lassen einem ja keine Wahl richtig, könnte man wenig dagegen sagen. Deswegen ist es ja so beknackt, es so unreflektiert in einem Text fallen zu lassen. Als Höhe- und Endpunkt dieses Artikels, der Moral der Geschichte.
Was diese Herangehensweise nur zeigt: Derartig sittenwidrige Verbrechen sollten von Personen behandelt werden, die in der Lage sind, unter Abstraktion persönlicher Betroffenheit mit dem Thema umzugehen. Ich weiss nicht, wie lange so etwas geht, es soll aber auch keine Lebensaufgabe sein. Vielleicht sollte dies auch mit mehr Aufmerksamkeit verfolgt werden. Denn dass dieses Thema in Deutschland in dieser Schmuddelecke des Fernsehens gelandet ist, ist schlimm genug:
Da meint der einst von Schill ernannte Ex-Polizeipräsident Hamburgs und Hobbymoderator dieser Krawallbürstenshow, dass es bedauerlich sei, dass das LKA in einem Fall, in dem ein 35jähriger Lehrer eine 18jährige Schauspielerin trifft, nichts unternommen hat. Dass das LKA sich einem Rechtssystem gegenüber zu verantworten hat und nicht Hollywood-like wie in Minority Report Personen vor Begehen eines Verbrechens anklagen kann, das will bei RTL2 niemand auf dem Schirm haben. Auch Frau Guttenberg wohl nicht. Im Gegenteil: Sie identifiziert sich mit diesem Niveau. Nur um nochmal zu sagen, welches Niveau wir da haben: RTL2 findet es anstößig, wenn Erwachsene Kindern Bildern mit eroigierten Penissen schicken, hält es ansonsten für sendenswert, Mütter mit ihren 13jährigen Töchtern vor der Kamera erigierte Penisse modellieren zu lassen.
It’s fun. Es ist Unterhaltung. Deswegen verwendet man bei Tatort Internet die Sprecher, die auch in Aktenzeichen XY und Spielfilmen vorkommen. Deswegen die aufgrund fehlender Tatsachenbelege spekulativen Erörterungen, die nur dem Reiz des Zuschaues nach Verbrechensaufklärung dienen. Deswegen der permanente moralische Zeigefinger, der die eigene Position in dieser albernen Posse rechtfertigt.
Es ist dem Thema aber schlicht nicht dienlich, es mit Unterhaltungseffekten als Unterhaltung zu präsentieren. Das geht offenbar in einige Köpfe nicht rein.
mehr: Schaltzentrale — Medialer Missbrauch
Aktualisierung:
Völlig disqualifiziert sich der STERN bei diesem Thema, das er selbst anheizen wollte und Redakteure wie Gernot Kramper dann solche Sätze formulieren lässt:
Diese RTL2-Sendung war wohltuend unvoyeuristisch aufgebaut.
SCHNÖFF TÄ TÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ!
Eine Sendung, bei der permanent als Mittel die unsichtbare Kamera im Hintergrund eingesetzt wird, um angebliche Verbrecher, denen man keine Straftat nachweisen kann, heimlich aufzunehmen, ist für den Zuschauer zwangsläufig voyeuristisch.