Also, ein wenig am Kopf kratzen wird man sich nach der gestrigen Bundespräsidentenwahl schon dürfen: Da lässt sich Christian Wulff mit eben der mangelhaften persönlichen Unterstützung aus den eigenen Reihen wählen, auf Grund derer Horst Köhler zurückgetreten ist. Der eine geht, weil er meint, da sei ein Gestank im Gebälk, der mittlerweile unerträglich sei, und der andere, ach egal, wenn man sich nur die Nase dauerhaft zuhält und nichts an sich rankommen lässt, dann geht’s. Sollte sich hier aber eine Tendenz zeigen, dann ist das ernüchternd: Hat Wulff nicht mal das wenige Rückrat, das Köhler besaß?
Dass er der persönlich schwächere Kandidat war gegenüber Joachim Gauck, ist soweit klar. Die Typoisierung, dass Gauck ein ganzes Leben habe, Wulff nur ein Parteibuch ist aber so nicht richtig. Dies gilt nur für den erbrachten Qualifikationsnachweis. Und da hat die CDU eben nur nach der Parteizugehörigkeit geschaut, was widerum nicht mal in halbwegs größeren CDU-Kreisen besprochen wurde, sondern nur im Allerengsten.
Auch wenn es nicht so schien, so ist Christian Wulff durchaus ein respektabler Kandidat für das Bundespräsidentenamt gewesen. Christian Wulff verfügt sehr wohl über Lebenserfahrung, er hat im Privaten eindrucksvoll und ehrenwert seinen Mann gestanden. Ich komme aus der Ecke, in der er groß geworden ist. Hier ist Steinkohle zuhause und Wulff war nie ein Freund der Kohlesubventionen. Wie nicht anders zu erwarten, hat man ihm das in meiner Heimatstadt, einer Kohlestadt, übel genommen. Man hat ihm damals Kohle direkt vor die Haustür gekippt. Und was machte Christian Wulff? Er ging zu den Kumpels und stellte sich. Und das saß. Die Kumpels haben sich natürlich nicht seiner Meinung angeschlossen, aber, dass er Schneid hat, das wurde anerkannt.
Was mich aber noch stört, ist seine Eingebundenheit in der Treue zum Christentum und zur Partei, die es schwer werden lässt, ein objektiver Präsident aller Deutschen zu werden. Vor kurzem hat er Aygül Özkan viel zu wenig in ihrer freien, kritischen Haltung unterstützt. Das mag machtpolitisch geschickt und um des lieben Friedens in Niedersachsen Willen richtig gewesen sein, aber der Sache nach war es eben falsch, anti-aufklärerisch und verlogen. Ein Bundespräsident sollte sich der Sache angemessen verhaltend urteilen, nicht sein Urteil nur unter der Bedingung einer Religion oder einer Partei fällen.
Es wäre gut, wenn Christian Wullf diesen Emanzipationsprozess in seiner Position als Bundespräsident vollzieht. Nur so kann das Stigmata, nur der B‑Kandidat dieser Wahl gewesen zu sein, ablegen, kann er mehr sein als ein austauschbarer Grüß-August.