Das Gegen-Manifest

Das Berlin­er Jour­nal­is­mus-Man­i­fest ist gut gemeint und schlecht for­muliert. Viel zu schlecht, als dass man so den Ver­fassern abnehmen würde, sie seien im Jour­nal­is­mus son­der­lich her­aus­ra­gend. Und zumin­d­est diese Hürde hätte man sehen­den Auges über­sprin­gen müssen.
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Jet­zt ret­tet man sich auf All­ge­mein­plätze, dass man ja wenig­stens eine Diskus­sion angeregt habe. Aber diese Diskus­sion bestand schon zuvor. Disku­tiert wird ja ger­ade nur, wer da in wessen Namen was über­haupt vertreten möchte. Man stellt sich in die Ecke der Du-bist-Deutsch­land-Kam­panger, der Kern­ers dieser Welt.
Da hil­ft es nichts zu sagen, man habe nur Behaup­tun­gen aufgestellt. Das ist eine Form der Feigheit, die dem Text gle­ich zu Beginn die Ern­sthaftigkeit nimmt: Wir haben nicht gesagt, wir verkün­den die Wahrheit, wir haben nur mal fix braingestormt.
manifest
Um zu zeigen, wie schwach diese Behaup­tun­gen sind, habe ich ein­fach mal die entsprechen­den Gegen­be­haup­tun­gen aufge­führt, sofern den Punk­ten nicht von alleine die Luft aus­ging.
1. Das Inter­net ist anders.
— Das Inter­net ist ein nor­males Medi­um. Die Nutzer wehren sich nur gegen Vere­in­nah­mung.

2. Das Inter­net ist ein Medi­en­im­peri­um in der Jack­en­tasche.

— Das Inter­net ist kein Medi­en­im­peri­um.

3. Das Inter­net ist die Gesellschaft ist das Inter­net.

— Das Inter­net ist nicht die Gesellschaft.

4. Die Frei­heit des Inter­net ist unan­tast­bar.

— Die “Frei­heit des Inter­nets” ist (bspw. in Chi­na) dur­chaus antast­bar.

5. Das Inter­net ist der Sieg der Infor­ma­tion.

— Das Inter­net ist das Überange­bot von Infor­ma­tion. Infor­ma­tion ist ein Sam­mel­be­griff. Sam­mel­be­griffe kön­nen nicht “siegen”.

6. Das Inter­net verbessert den Jour­nal­is­mus.

— Das Inter­net ver­wässert den Jour­nal­is­mus. Die neuen Fron­ten im Inter­net brechen aber offen­bar Verkrus­tun­gen bei Ver­legern auf.

7. Das Netz ver­langt Ver­net­zung.

— Das Netz ver­langt gar nichts.

8. Links lohnen, Zitate zieren.

— Links lohnen nicht. Ver­link­t­sein lohnt.

9. Das Inter­net ist der neue Ort für den politschen Diskurs.

— Im Inter­net kann man Sachver­halte darstellen. Diskurse sehen anders aus.

10. Die neue Presse­frei­heit heißt Mei­n­ungs­frei­heit.

— Presse­frei­heit heißt nach wie vor Presse­frei­heit.

11. Mehr ist mehr – es gibt kein Zuviel an Infor­ma­tion.

— Selb­stver­ständlich gibt es Too much infor­ma­tion. s. 5., s. 6.

12. Tra­di­tion ist kein Geschäftsmod­ell.

— Selb­stver­ständlich sind tra­di­tionell ori­en­tierte Geschäftsmod­elle Geschäftsmod­elle.

13. Im Inter­net wird das Urhe­ber­recht zur Bürg­erpflicht.

— Das Inter­net gener­iert keine Pflicht­en, schon gar keine Bürg­erpflicht­en.
14. Das Inter­net ken­nt viele Währun­gen.
15. Was im Netz ist, bleibt im Netz.

— Geschwurbel. Vgl.. Video killed the radio star.

16. Qual­ität bleibt die wichtig­ste Qual­ität.

— Nicht Qual­ität, Ver­net­zt­sein bleibt die wichtig­ste Qual­ität.
17. Alle für alle.
— Alle alle.
Und über­haupt: Man­i­festiert hat dieser Text gar nichts.
Kri­tik an der Kri­tik:
Es gibt Kri­tik an der Kri­tik des Man­i­festes. Es sei oft­mals zu aus­ge­lassen­em Hass gegenüber den Ver­fassern gekom­men. Das ist bedauer­lich, ich habe diesen Hass aber nicht gese­hen, ich lese aber auch nicht sämtliche Kom­mentare der einzel­nen Blogs.
Die patzige Rep­lik, Kri­tik­er kön­nten doch zeigen, wie es denn bess­er geht, missver­ste­ht erneut die Rolle eines Kri­tik­ers: Dieser darf sagen, dass ein Bild unschön ist, er muss aber nicht wis­sen, wie man Bilder malt.
Mein Text sollte nur zeigen, dass ein den The­sen ent­ge­gen gerichtetes Man­i­fest eben­so plau­si­bel rüberkom­men kann, es sollte selb­st kein Man­i­fest aus­rufen. Genau­so ist die Beze­ich­nung “Berlin­er Inter­net-Man­i­fest” keine Unter­stel­lung, dass alle Unterze­ich­n­er Berlin­er sind, son­dern, dass es sich hier um eine auf wenige Köpfe begren­zte Dar­legung han­delt.
Mitun­terze­ich­n­er des ursprünglichen Man­i­festes räumten ein, man hätte nicht unbe­d­ingt von einem “Inter­net-Man­i­fest” reden sollen, son­dern nur von Behaup­tun­gen über Jour­nal­is­mus; sprich wed­er von Inter­net, noch von Man­i­fest. Wenn die Autoren also schon eingeste­hen, dass sie die Bedeu­tung der Anfangsworte nicht genau auf dem Schirm hat­ten, muss die Frage erlaubt sein, ob sie denn den Rest auf dem Schirm hat­ten, und was genau dieser Rest ist. Eine solche Kri­tik aufzustellen ist berechtigt und kommt ohne Angriffe auf irgen­deine Per­son aus.
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